Willkommen zur zweiten Ausgabe des Lettre de la République, dem Newsletter von republique.de.

Diesmal geht es um das Forum. Dieses war zunächst ein ganz normales Gästebuch, in dem außer Lob, Kritik oder Fragen zum Thema der Site nicht viel passierte. Im Frimaire 211 begann sich dies mit dem Auftauchen imaginärer Personen zu ändern. Das Forum entwickelte ein Eigenleben mit einer gewissen Gegen-Realität, die zeitlich irgendwo zwischen der Französischen Revolution und der Jetztzeit anzusiedeln ist.
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Ami du Peuple erblickte am 12. Frimaire 211 das Licht des Forums. Aus seiner Sympathie für die Armeen der Revolution und die gemäßigten Girondisten machte er von Anfang an keinen Hehl. Für ihn hat die Schreckensherrschaft die Französische Revolution auf immer besudelt. Eine Zeit lang wurde er von einem gewissen Pierre oder Peter aus Westfalen unterstützt. Mit seinen liberalen Auffassungen - die er in teilweise epischer Breite darlegte - schuf sich Ami du Peuple jedoch sogleich einen Todfeind:

Le Montagnard. Sein politisches Programm lässt sich ganz kurz beschreiben: Es zählt einzig und allein das reibungslose Arbeiten der Guillotine. Es gibt wohl kein Mitglied des Forums, dem er noch nicht mit einer Anklage vor dem Revolutionstribunal gedroht hat. Terror ist für ihn Selbstzweck - jeder andere als er ist ihm verdächtig. Seine Schwärmerei für Marie Antoinette weckte jedoch den Verdacht, dass er in Wirklichkeit ein Royalist sei. Dieser Verdacht erhärtete sich, als das erste weibliche Forumsmitglied die Bühne betrat:

Maximiliane Marie-Isidora erschien am 15. Nivôse 211. Die vermeintliche Anhängerin Robespierres verbündete sich ziemlich schnell mit dem Montagnard, den sie zu ihrem Sekretär machte. Dieser unterwarf sich nur allzu gern ihrer am 23. Prairial 211 ausgerufenen 'Wohlfahrtsdiktatur', die sie aber nach zwei Dekaden ziemlich schnell beendete, als ihr die Eskapaden ihres Sekretärs zu bunt wurden (er wollte sie zur Königin der Republik krönen). Im Fructidor 211 hatten Maximiliane und Montagnard noch eine kurze, ausgesprochen monarchistische Romanze. In letzter Zeit ist es um die Ex-Wohlfahrtsdiktatorin leider sehr still geworden.

Am 29. Nivôse 211 kam der Vicomte d'Artois für ein zunächst nur kurzes Gastspiel ins Forum. Seine antirepublikanischen, entschieden konservativen, teils glänzenden, aber auch endlosen Beiträge machten ihn zum Hauptfeind der republikanischen Forumsfraktion. Am 4. Pluviôse 211 gab er sich geschlagen und nahm offiziell Abschied. Dieser Tag wurde für die übrigen Forumsteilnehmer ihr ganz eigener 21. Januar 1793 - und dieser Tag sah die Republikaner zum letzten Mal geeint. Über ein Jahr später stand der Vicomte aber wieder von den Toten auf und begann erneut, seine republikanischen Feinde mit der Peitsche seines Intellekts zu knechten.

Eine Verstärkung für die republikanische Fraktion kam am 13. Germinal 211 aus Österreich: Jacobin autrichien. Nachdem sich Maximiliane und Montagnard ausgetobt hatten, ließ er sich zum 'Präsidenten' des Forums wählen, der bis heute die wichtigsten und besten Ansprachen zu den Jahrestagen der Revolution hält. Standhaft hält er die radikale Position der Jakobiner im Forum aufrecht. Über sein Aussehen sind die langen Haare und goldenen Ohrringe bekannt - und auch sein scharfer Verstand und bisweilen zynischer Humor lassen vermuten, dass es sich bei ihm um eine Wiedergeburt Saint-Justs handelt.

Eloquenz, Esprit, Nonchalance - LeChouan gelingt es immer wieder, selbst eingefleischte Republikaner davon zu überzeugen, dass wahres Genie nur beim Hochadel zu finden ist. Am 22. Messidor 211 betrat er das Forum, und es dauerte nicht lange, bis seine Führungsstärke auch von denjenigen anerkannt wurde, die Adelige sonst nur auf der Guillotine sehen wollen. Dies ging so weit, dass ihm sogar der Vorsitz im Forumsausschuss angeboten wurde, was er selbstverständlich als unter seiner Würde ablehnte. Seit dem 27. Frimaire 212 ziert eine Krone seine Beiträge.

Der einzige Neuzugang des Jahres 212 war 'Herr von Mitterer, Diplomat im Auftrage seiner allerkatholischsten Majestät Karl v. Habsburg von Österreich' - so stellte er sich selbst am 26. Prairial 212 vor. Obwohl er stets den Hass-Eid auf das Königtum verweigerte, trat er leidenschaftlich für die Freiheit ein - offenbar ein konstitutioneller Monarchist. Von ihm stammt der Satz 'Die Tyrannei hatte ihre Chance gehabt - jetzt rollen ihre Köpfe!' (26. Brumaire 213). Höchst verdächtig waren seine Besuchszeiten: stets mitten in der Nacht, zu so unmöglichen Zeiten wie 9:98 oder 1:61 Dezimalzeit. Leider verschwand er auch sehr schnell wieder.

'Es lebe CHARLOTTE CORDAY! Sie ist die größte französische Märtyrerin aller Zeiten!' - Mit diesen Worten erschien am 11. Brumaire 213 der Abbé Maury - selbsternannter 'Ami du Roi' - im Forum, um nach kurzer Zeit wieder zu verschwinden. Für ihn war die einzig legitime Herrschaftsform die absolute Monarchie. Die Revolution hielt er für ein von einer korrupten Clique organisiertes Gaunerstück zur Errichtung der Pöbelherrschaft. Der Bewunderer des Vicomte d'Artois half diesem bei seinen Disputen mit LeChouan über die Frage, welches Haus den legitimen Anspruch auf die Krone hat.

Am 9. Frimaire 213 erschien das erste Lebenszeichen der mysteriösen Théroigne, einer glühenden Verehrerin Jacobin autrichiens ('Mein Wunsch ist bescheiden: Gehör zu finden, mon ami...'). Mit einem Hang zur Frechheit und stets die libidinösen Aspekte der Revolution betonend, machte sie sich schnell Freunde und Feinde ('Quotenrevolutionsirre' - LeChouan) - aber sie sorgt mit ihrem Humor stets für Auflockerungen, wenn die Debatten allzu ernst werden. Ihre Intimfeindin ist Maximiliane Marie-Isidora.

'Nationalgardist, Anhänger Dantons und Desmoulins mit leichten Sympathien für die Girondisten' - so beschreibt sich Colonel Tristan D'Orsay. Sein erster Beitrag datiert vom 4. Nivôse 213. Er ist gemäßigt, aber radikalen Lösungen nicht abgeneigt, wenn es um den Bestand republikanischer Grundsätze geht ('Diese royalistische Front kann man nur mit der Rasierklinge der Republik ausmerzen, wenn sie noch den Zeiten der Tyrannei nachtrauern.' - 14. Pluviôse 213). Ansonsten werfen D'Orsays militärische Herkunft und seine offensichtlichen Talente die Frage auf, ob Ähnlichkeiten mit Napoleon wirklich zufällig sind und das Forum an der Schwelle zu einem neuen 18. Brumaire steht.

Wer in den Forumseinträgen herumstöbern will, gehe einfach auf republique.de (dort Plus -> Forum). Die Einträge des Jahres 211 sind auf sansculotte.net nachzulesen (dort Specials -> Forum).

Jahrestage im Sommer CCXIII
Vor 250 Jahren:
30. Juni 1755: Geburt von Francois-Paul Barras
Vor 215 Jahren:
14. Juli 1790: Föderationsfest in Paris
Vor 210 Jahren:
26. Messidor III (14. Juli 1795): Die Marseillaise wird Nationalhymne
9. Thermidor III (27. Juli 1795): Erste Feier des 9. Thermidor in Paris

Der nächste Lettre de la République erscheint am 1. Vendémiaire CCXIV.
Bis dahin einen schönen Sommer und
Salut et Fraternité!
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© Jan Knupper 2005